CHOQUEQUIRAO

Auf alten Inka-Pfaden durch Peru

Sechs Tage durch Landschaften so extrem, dass Dronen nicht fliegen und Körper nicht funktionieren wollen, über vergletscherte Bergpässe, die mehr als vier Kilometer über den Meeresspiegel hinausragen, und durch Tausend Meter tiefe Schluchten in denen Millionen von Mosquitos sich auf jeden Wanderer stürzen, mittendurch durch winzige Bergdörfer, die sich seit der Zeit der Inka nicht viel verändert haben, über schlammige Urwaldpfade und die staubigen Wege auf der regenabgewandten Seite der höchsten Berge Amerikas — der Weg zur Inka-Ruine Choquequirao und weiter ins besser bekannte Machu Picchu könnte wahrlich nicht schwieriger – aber auch nicht beeindruckender – sein.

Wir beschlossen, es trotzdem zu wagen. Eine Woche waren wir ohne Internet, ohne Strom, ohne Dusche und die Landschaft wechselte weit häufiger als die Unterwäsche.

Hier sind meine Eindrücke :)

DER HIKE

Einfach ist es nicht, Informationen zum Choquequirao-Hike zu finden. Im Gegensatz zum sehr viel bekannteren Inka-Trail mit seinen täglich über 500 Wanderern ist der Weg nach Choquequirao touristisch komplett unerschlossen. Eins war von Anfang an klar: es sollte ohne Guide sein. Natur pur, in meinem eigenen Rhythmus, in Stille und in Ruhe. Die Organisation ist dementsprechend komplex. Informationen sind rar. Nur aus einer Handvoll Youtube-Videos, Karten, Reise-Blogs und GPS-Daten aus einer Trekking-App lassen sich zusammen mit einer guten Portion Lokalexpertise genug Informationen zusammentragen, um einen Plan zu erstellen. Ein Jahr lang habe ich mich informiert und recherchiert, geplant und vorbereitet.

Und dann ging es endlich los!


Tag 1 - 08/08/22

Schon die Anfahrt zum Ausgangspunkt des Pfades gestaltet sich schwierig. Die einzige Option sind ein vollgestopfter Minibus für 3 Stunden, gefolgt von zwei weiteren Stunden zu viert auf der Rückbank eines Sammeltaxis. Die mit Lebensmitteln für 10 Tage, Camping-Ausrüstung und Klamotten gefüllten Wanderrucksäcke passten natürlich nicht in den winzigen Bus und mussten auf dem Dach mitfahren.

Los geht’s!

Die Aussicht vom Auto wird auf den knapp 90km von Cusco nach Cachora immer beeindruckender!

Ankunft in Capuliyoc

Schöne Aussichten kommen leider mit jeder Menge Zick Zack in der Straße und so erreichten wir den Aussichtspunkt Capuliyoc, wo man den Eintritt zur zwei Tagesmärsche entfernten Ruine kaufen muss und von wo es dann nur noch zu Fuß weitergeht, erst am späten Nachmittag. Ganz leicht war es nicht, den Parkwächter davon zu überzeugen uns auch nach 17 Uhr noch loswandern zu lassen. Ungefährlich ist das nämlich nicht. Der Pfad schlängelt sich am Hang eines mehr als 1000 Meter tiefen Tals entlang. Während es rechts teilweise hunderte Meter senkrecht in die Tiefe geht, besteht vom Berghang linker hand die Gefahr herabstürzender Steine und Felsbrocken. Nicht der Ort, um am Hang rieselnde Steine zu ignorieren. Was klein anfängt, kann schnell einen Felsen von der Größe eines Kleinwagens ins Rollen bringen.

Ab hier also nur noch zu Fuß!

Nach einem kurzen Gespräch konnte ich den Parkwächter aber überzeugen, dass wir erfahrene Wanderer sind und wir konnten den ersten Teil der Wanderung noch am selben Abend beginnen. Wenigstens bis zum ersten Camping-Spot (die gar nicht so leicht zu finden sind…nur wenige Orte in den Bergen sind eben genug, um ein Zelt aufschlagen zu können), um in den Rhythmus zu kommen. Los ging das Abenteuer also. Während die Sonne langsam hinter den schneebedeckten Gipfeln versank, machten wir uns auf, immer dem schmalen Zick-Zack-Weg durch eine von einem wenige Tage zuvor wütenden Wildfeuer schwarz versengte Landschaft in Richtung Tal folgend. Knapp 1000 Abstieg wollten im sanften Abendlicht noch hinter uns bringen, aber die Sonne sinkt schnell in den Tropen und so wurde es doch stockfinster bis wir am Camping-Spot ankamen. Außerhalb des schmalen Lichtkegels der Stirnlampe sah man nichts, außer den im Licht der Sterne glühenden schneebedeckten Gipfel der über 5000m Hohen Berge der Umgebung. Rieselnde Steine – ein Erdrutsch? Ein Puma? Ein Bär? Ganz angenehm war das nicht und wir nahmen uns vor auf Wandern in der Dunkelheit von nun an zu verzichten – ein nicht immer einhaltbarer Vorsatz.

Erstes Camp: Cocamasana

Gegen 8 Uhr abends kamen wir dann endlich im ersten Camp an. Zelt aufbauen, Wasser abkochen und vorm Schlafengehen noch schnell ein paar Nudeln verdrücken. Die Nächte auf Wanderung beginnen früh und enden früh. Tag 2 sollte anstrengend werden!

TAG 2 – 09.09.22

So schliefen wir also die erste Nacht in unserem Zelt. Der zweite Tag hatte es in sich. Wir sind jung und sportlich, dachte ich, da sollte es doch drin sein zwei Segmente auf einmal an nur einem Tag zu machen. So kommen wir schneller an die Ruine und haben mehr Zeit dort. Wie schwer können 1400 Meter Aufstieg für zwei junge Männer schon sein, richtig?

Nun, schnell stellte sich heraus: sehr schwer!

Nach mehr als drei Stunden Wanderung, um die restlichen 500 Meter Abstieg bis zum Apurímac-Fluss zu bewältigen, begann der brutale Anstieg hinauf zum Dorf Marampata. Nicht nur ist der Weg ein steiler Schotterpfad in endlosen Schlangenlinien, dazu kommt die Hitze im Tal, während in der Höhe Kälte, Erschöpfung und die dünne Luft ihren Tribut fordern. Tag 2 des Choquequirao-Treks war definitiv eine der körperlich anstrengendsten Dinge, die ich je unternommen habe. Zum Glück fanden wir zwischendurch unerwartete Hilfe.

Erste Aufgabe des Tages: Wasser filtern.

Die Toiletten sind einfach, aber die Aussicht ist toll

Nach der üblichen Morgenruine – Wasser aufbereiten, Frühstücken und Zelt abbauen – ging es dann auch schon weiter. Vollbeladen begannen wir den Abstieg zum Fluss hinunter.

Abstieg Nummer 1

Das Dorf Marampata, wo wir die zweite Nacht verbringen wollen, ist nur zu Fuß erreichbar. Alles was man dort findet (und das ist doch sehr viel mehr als wir erwartet hatten, wie sich später rausstellen sollte), muss von leichtfüßigen Cholitas und ihren Maultieren über die staubigen Pfade herangeschafft werden. Es ist unglaublich und ein bisschen beschämend, wie flink diese kaum 1,50m hohen Frauen die Berghänge hoch- und runterflitzen. In der Höhenluft gewöhnt sich der Körper an weniger Sauerstoff. Auf 3000 Metern, der Höhe von Marampata, enthält die Atmosphäre fast ein viertel weniger Sauerstoff. Wessen Körper sich daran gewöhnt hat, der findet in den tiefen Tälern so viel Sauerstoff, dass der Körper quasi Superkräfte entwickelt.

Gegen Mittag hatten wir es dann endlich hinunter zum Fluss geschafft. Soweit der einfache Teil…

Die Temperatur wurde spürbar wärmer je tiefer wir kamen. So tief haben die gewaltigen Flüsse der Region, die sich am Ende alle zum Mächtigsten aller Flüsse – dem Amazonas – zusammenschließen, in die Berghänge gefräst, dass hier warme, feuchte Luft aus dem Tiefland hochsteigt. Nicht nur für Wanderer ist die Wärme eine willkommene Abwechslung der eisigen Konditionen im Hochland. Auch Scharen von Mosquitos fühlen sich hier am Fluss so wohl, dass jeder Passant von einer ganzen Wolke kleiner, sehr nerviger Mücken verfolgt wird. Jede kleine Pause wird genutzt, um dem erschöpften Wanderer ein Paar Tropfen Blut und eine ganze Menge Nerven zu rauben. Immerhin hatten wir es zur Brücke geschafft. Nach einer kurzen Verschnaufpause und dem Entfernen einer Lage Klamotten ging es weiter. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass das was uns nun bevorstehen würde der härteste Teil des ganzen Treks werden würde: 1400 Meter steil bergauf.

Direkt nach der Brücke begann der Aufstieg. Eine ältere Frau mit vier Maultieren bot uns an unsere Rücksäcke zusammen mit anderen Waren bis hoch ins Dorf zu transportieren. Wir lehnten ab. Der Sinn des Ganzen, die Faszination dieses Hikes ist ja gerade alles bei sich zu haben, selbstständig raus in die Wildnis auf eigene Faust. Die alte Frau flitzte also in guter peruanischer Manier ohne unser Gepäck los.

Schnell stellte sich heraus: das war ein Fehler.

Schon nach wenigen Minuten wurde klar, dass Pausen alle 200m nötig waren. So würden wir nie den Gipfel erreichen.

Mit 20kg Gepäck auf dem Rücken war ein solcher Anstieg unmöglich zu schaffen. Also fragten wir von nun an jeden vorbeiziehenden Maultierhalter, ob wir unser Gepäck nicht doch nach Marampata schicken können. Man stelle sich die Frustration vor, als alle entweder keine freien Maultiere hatten, keine Seile zum festbinden unseres Gepäcks oder andere Ziele als Marampata.

Viele Anfragen und Pausen, aber wenig Fortschritt und wenige Höhenmeter später fand sich endlich ein Transportmittel. Ein kleiner älterer Herr, Lucas sein Name, hatte Seile, ein freies Maultier und das selbe Ziel wie wir. Hallelujah! Ein Problem weniger.

Einfach war der Anstieg auch ohne die großen Rucksäcke nicht. Zu dem Zeitpunkt war die Frage aber nicht mehr, ob der Weg “einfach” würde – es ging darum, ob wir es überhaupt nach Marampata schaffen würden.

Ohne Gepäck brauchten wir immer noch 5 Stunden für die 6km hoch nach Marampata. Kurz nach Sonnenuntergang erreichten wir das charmante Dörfchen, in dem 30 Familien – darunter Lucas’ Familie – leben. Wir fanden Lucas und durften unser Zelt direkt bei ihm im Vorgarten aufschlagen.

Noch schnell was zu essen auf dem Campingkocher gemacht und auf ins Bett, bzw. auf die Isomatte. Der Tag beginnt früh auf Wanderung, mit dem Aufgehen der Sonne, und endet früh, wenn man nach einem langen, anstrengenden Tag wie erschlagen um kurz vor acht Uhr abends schon im Schlafsack steckt.

Tag 3 – 10.08.22

Wie jeden Tag wachten wir am Morgen des dritten Tages inmitten von Wolken auf knapp 3000m Höhe auf. Gegen die Sonne der Anden kommen die aber nicht an und so klart es schnell auf und gegen 10 Uhr morgens war es immer sonnig.

Marampata ist ein bescheidenes kleines Dörfchen, nur 4km von der Ruine entfernt. Zwar gibt es keine Straßenanbindung und keinen Anschluss ans Strom- oder Telefonnetz, aber immerhin gibt es Menschen, die einem morgens ein Ei braten. Das ist ein ganz schöner Luxus nach (und vor) so einer Wanderung. Heute sollte jedoch leicht werden. Die letzten Paar Kilometer bis zur Ruine sind vergleichsweise flach und am frühen Nachmittag würden wir endlich am Highlight des Treks ankommen: Choquequirao.

MARAMPATA

Schon kurz nachdem wir Marampata verlassen hatten sahen wir Choquequirao auf dem gegenüberliegenden Berghang. Gigantische Terrassen an den Abhängen und der Zeremonielle Teil wie bei den Inka üblich auf dem Bergrücken, nah bei den Göttern. Der größte Teil von Choquequirao liegt bis heute unter dichtem Jungle bedeckt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass unter der Pflanzendecke zwischen den Terassen und der Zitadelle ebenfalls Terrassen liegen. Wie in Machu Picchu haben die Inka wohl den größten Teil der gigantischen Bergkuppe befestigt und bebaut.

Endlich Choquequirao … oder doch nicht?

Laut Plan wäre jetzt der Nachmittag für die Ruinen vorgesehen, die eine ca. 15-minütige Wanderung oberhalb des Campingplatzes liegen. Nur noch schnell die Verpflegung einpack… bzw. feststellen, dass die Jutetasche mit einem guten Teil der genau berechneten Verpflegung verschwunden ist! Ein Glück schieße ich jede Menge Fotos und so konnten wir mit Hilfe der Kamera den genauen Punkt bestimmen, ab wann die Tasche nicht mehr in den Bildern auftaucht. Statt Ruinen stand nun also auf dem Programm die großen Rucksäcke ins Zelt zu werfen und leicht bepackt zwei Kilometer zurückzuwandern, zum Ort an dem wir die Tasche bei einer kleinen Pause vergessen hatten. Mit Ruinen würde es heute also nichts mehr werden, aber eine leichte, unbeschwerte Wanderung im sanften Nachmittagslicht ist auch nicht schlecht. Pläne ändern sich auf solchen Touren und das ist auch völlig ok so :)

ENDLICH:

CHOQUEQUIRAO

Choquequirao ist das was Machu Picchu vor 100 Jahren war: eine vor nicht allzu langer Zeit inmitten des peruanischen Bergurwald wiederentdeckte Stadt der Inka. Wie ihre bekanntere Schwester ist auch Choquequirao ein architektonisches Meisterwerk, elegant auf einem Bergrücken 1000 Meter über den umgebenden Flusstälern balanciert. Nach der Invasion der Spanier in Peru und der Eroberung von Cusco haben sich die Inka ins sagenumwobene Vilcabamba zurückgezogen und über 100 Jahre lang Widerstand gegen die Kolonisierung geleistet. Vilcabamba war wohl ein Codename für mehrere Siedlungen in den unzugänglichen Bergen, darunter Machu Picchu und Choquequirao. Im Gegensatz zum weltberühmten Machu Picchu wurde Choquequirao erst vor 30 Jahren richtig wiederentdeckt und ist noch immer zu über 60% von Urwald bedeckt.

Ein weiterer Unterschied ist der Zugang und, damit verbunden, die Menge an Touristen, die Choquequirao pro Tag besuchen. Während Machu Picchu das wohl bekannteste Reiseziel Südamerikas ist, zu dem täglich so viele Besucher per Zug von Cusco aus strömen, dass die peruanische Regierung ein Limit etablieren musste, weil die Touristenmassen die Stadt in ihrer Struktur bedrohten, kommt man nach Choquequirao nur durch eine Wanderung von mindestens 2 Tagen durch eines der tiefsten Gebirgstäler der Welt, den Apurímac-Canyon. Bevor sie zu Festungen wurden, waren beide Städte wohl rituelle Rückzugsorte der Inka-Oberschicht und standen in einer religiösen Verbindung. Machu Picchu war wohl dem Kult um den Sonnengott Inti gewidmet, Choquequirao dem Mond, Quilla. Viel weiß man darüber nicht. Der europäische Genozid der amerikanischen Ureinwohner, darunter der Inka/Quechua, war gründlich und hat neben Kunst und Kultur auch uraltes Wissen im Namen des Kreuzes und der Krone für immer ausgelöscht. Daneben waren beide Städte wohl Handelsknotenpunkte, die über ihre vielen Strassenanbindungen Produkte aus allen Regionen des Inkareichs erhielten.

Tag 4 – 11.08.22

Camping direkt unter der Zitadelle, auf den alten Inkaterrassen, aber mit den Waschmöglichkeiten der Archäologen.

Tag 5

12.08.22

400 Meter bergauf, 1600 Meter bergab, 1200 Meter bergauf… Tag 5 versprach anstrengend zu werden. Mit der Herausforderung vom Aufstieg nach Marampata zwei Tage zuvor noch frisch in Erinnerung diskutierten Daniel und ich ernsthaft einfach zurückzukehren und uns die letzten Tage des Hikes zu sparen. Immerhin hatten wir Choquequirao gesehen. Langsam hing uns das Camping-Essen zum Hals raus, die Klamotten waren dreckig und teilweise feucht vom Regen in der Nacht zuvor, Tag 5 ohne Dusche oder Spiegel…solche Wanderungen sind nicht nur körperlich eine Herausforderung, sondern auch – vielleicht vor Allem! –psychisch. Genau zum richtigen Zeitpunkt aber kam das, was wir brauchten: jemand Dritten, der uns Mut machte und Motivation gab weiterzugehen. Am Abend des Tags zuvor tauchte neben unserem Zelt ein weiteres auf. Sein Bewohner, René, ein Wanderer aus der Schweiz, überzeugte uns weiterzumachen – und wow! ein Glück haben wir nicht aufgegeben. Es sollte sich nämlich herausstellen, dass Choquequirao nur ein Highlight dieser Wanderung war!

Auf ging es also an Tag 5! Los in Richtung Bergpass auf 3300 Meter, hinunter ins Flusstal (den Ort mit der wohl höchsten Moquitodichte der Welt!), durch mehr Inkaruinen und den Berg hinauf ins 3-Häuser Dorf Maizal – mit unerwarteten Tieren auf dem Weg!

Die Fotos von Tag 5 sind zum durchklicken auf den kleinen Pfeilen rechts und links :)

Natürlich dauerte der Aufstieg mal wieder länger als geplant und das letzte Drittel legten wir in kompletter Dunkelheit zurück. Wer hätte gedacht, dass ich mal alleine mitten in der Nacht mitten im Urwald inmitten der Anden enden würde! Um so schockierender – nach der Warnung vor Bären und Jaguaren – als ich auf einmal im Licht der Stirnlampe Augen vor mir aufblitzen sah. Was für ein Schreck! Ein Glück, dass dies die Augen von Vegetariern waren. Kühe kündigten die Ankunft in Maizal an. Das Problem ist nur: ich war in keiner Laune mich an gigantischen Körpern auf dem schmalen Pfad vorbeizudrücken – rechts ein hunderte Meter tiefer, pechschwarzer Abgrund, links ein steiler, dicht bewachsener Hang. Daniel musste also ran und die Erinnerungen aus seiner Kindheit auf einer Rinderfarm in Brasilien auffrischen. Fast eine Stunde dauerte es die störrischen Viecher auf dem schmalen Weg bis ins Dorf zu treiben, aber am Ende war es geschafft: Maizal! Nicht nur den Campingplatz haben wir gefunden. Ohne Strom, auf einem holzbefeuerten Herd inmitten von Meerschweinchen und Katzen, bereitete uns unsere Gastgeberin Líbia ein Abendessen mit frischen Eiern, Tomatensalat, Reis und Kartoffeln. Simple, aber mega lecker!

Tag 6 – 13.08.22

Tag 6 sollte der wohl spektakulärste Tag des Hikes werden! Über den höchsten Pass, entlang an hunderte Meter hohe Klippen und mit atemberaubenden Aussichten auf die schneebedeckten Gipfel auf der anderen Seite des Tals. Wir sind angekommen in der höchsten Region der Wanderung!

Nach einem herzhaften Frühstück von Líbia ging es los. Die übliche Routine von Klamotten in der Morgensonne trocknen und Zelt einpacken wurde unterbrochen, als Líbias Mann mit der einer Bitte an René herantrat. Wir sollten doch bitte den Hund mit ins nächste Dorf, Yanama, nehmen und dort freilassen. Why not?

Der Aufstieg war alles andere als angenehm. Dies war die regenzugewandte Seite des Berges und in der Nacht zuvor hatte es wirklich geregnet. Anstatt aus Steinen und Schotter bestand der Weg hier zum größten Teil aus Matsch und Eselkacke, sowie glitschigen Inkatreppen.

Inmitten des Urwaldes führt der Weg vorbei an einer alten Mine der Inka. Bis heute wird in diesem Berg Silber abgebaut, teilweise in Schächten, die seit den Inka in Gebrauch sind.

Bald schon sollte sich die Landschaft grundlegend ändern. Schritt für Schritt stiegen wir höher, die Luft wurde dünner, die Aussichten besser und der Bewuchs niedriger. Am Ende führte uns Tag sechs bis weit über die Baumgrenze, wo nur noch Gras und Agaven überleben.

Je höher wir stiegen, desto klarer wurde, dass wir auf alten Inkapfaden liefen. Im Urwald weiter unten haben Jahrhunderte von Starkregen und Pflanzenbewuchs die Struktur der Pfade stark erodiert. Hier oben jedoch läuft man noch über die Wege, die die Inka selbst gebaut haben. Der komplette Weg ist mit gigantischen, flachen Felsen ausgelegt, die einen fragen lassen, wer sich die Arbeit gemacht hat bis auf über 4000m tonnenschwere Steine zu einem Pfad zusammenzufügen.

Wer sich aber ein bisschen mit der Geschichte der Inka beschäftigt versteht was hinter den Wegen steckt. Die Inkapfade – viel mehr noch, als die spektakulären Städte auf Bergrücken – waren die größte technologische Errungenschaft der Inka. Sie waren es, die das bis dato größte Reich in Südamerika zwischen Kolumbien und Argentinien zusammenhielten. Die Inka kannten weder das Pferd noch das Rad. Trotzdem war das Inkareich extrem gut organisiert und dazu brauchte es eine schnelle Übermittlung von Informationen. Staffelläufer waren dafür verantwortlich und flitzten vor 500 Jahren auf diesen Pfaden hin und her.

Beim Aufstieg kamen wir an einer wichtigen Kreuzung vorbei. Unser Wanderpfad stellte früher die wichtigste Verbindung zwischen der Hauptstadt Cusco und den nördlichen Regionen dar. Die Abzweigung nach rechts führte hinunter ins Amazonastiefland und weiter nach Brasilien und Bolivien.

Kurz vor dem Pass stand eine kleine Hütte. In der Schweiz würde hier mit Sicherheit überteuerte heiße Schokolade verkauft werden. Hier in Peru muss mitgebrachte Nutella und Brot herhalten. Ob es sich lohnt 350g Nutella bis auf 4360m über dem Meer hochzuschleppen, muss wohl jeder selbst entscheiden. Was fest steht ist jedoch, dass ein Nutellabrot nach einem 1360m Aufstieg und mit einer spektakulären Aussicht im sanften Abendlicht etwas ganz besonderes ist :)

Und zu dem Zeitpunkt wussten wir noch gar nicht, dass uns jetzt der spektakulärste und schönste Abschnitt des ganzen Hikes bevorstand: der Abstieg ins Dorf Yanama über einen Wanderweg, der sich an steilen, hunderte Meter hohen Klippen entlangschlängelt. Definitiv nichts für Menschen mit Höhenangst!

Kurz vor unserer Ankunft in Yanama gab es noch eine kleine Überraschung. Líbia, unsere Gastgeberin vom Tag zuvor, die wir am Morgen in Maizal zurückgelassen hatten, tauchte auf einmal über uns in den Büschen auf! Die ältere Dame hat den gesamten Weg über den Bergpass für den wir 7 Stunden gebraucht haben einfach mal in 3 zurückgelegt. Es war ein Samstag und die nächste Kirche ist in Yanama. Schon unglaublich was Menschen für ihren Glauben tun. Nach einem kurzen Gespräch war sie dann auch schon wieder auf ihrem Weg und wenige Minuten später hinter einer Biegung verschwunden.

Der ganze Hike ist nichts für Menschen mit Höhenangst, aber diese Klippe, die wir im wunderschönen Licht des späten Nachmittags passierten, war wohl der schwierigste Teil. Wie so oft, sieht das alles aber sehr viel schlimmer auf Bildern aus, als in der Realität. Vorsicht ist überall in der Wildnis geboten, aber man sollte sich nicht von dramatischen Fotos abschrecken lassen selbst raus in die Natur zu gehen. Im schlimmsten Fall kann man immer umkehren. Sehr viel wahrscheinlicher aber ist es, dass man eine wunderbare und einmalige Erfahrung macht, wie zum Beispiel an einer Klippe mit den besten Aussichten aller Zeiten entlang zu spazieren.

Am Ende des Tages lies Mutter Natur noch ein Herz am Abendhimmel aufstrahlen. Immerhin war es die Woche vor unserem zweiten Hochzeitstag.

Tag 7

14.08.22

Wir waren erschöpft! Nach dem dritten Tag in Folge mit Höhenunterschieden von mehr als 1000 Metern brauchten wir eine Pause. Außerdem versprachen die letzten drei Tage des Hikes deutlich weniger beeindruckend zu werden, als alles was wir bis dahin gesehen hatten – ein langsamer Abstieg durch lange Flusstäler bis nach Machu Picchu. Wir beschlossen also einen Tag in Yanama einfach nichts zu tun. Ohne Internet. Ohne Bildschirme. Ohne Arbeit. Sogar ohne ein Buch. Absolut ohne Ablenkungen. Wann hat man als junger Mensch im Jahr 2022 schon die Gelegenheit einmal komplett, wirklich komplett, abzuschalten und total alleine mit seinen Gedanken und der schönen Aussicht zu sein? Eine tolle Erfahrung, die ich definitiv öfter in mein Leben einbauen muss! :)

Mit dem tollsten Teil des Weges hinter uns und Schmerzen in Beinen und Rücken entschieden wir uns die letzten drei Tage zu ersparen. Yanama ist über eine staubige, unbefestigte Piste über einen fast 5000m hohen Bergpass an eine mittelgroße Stadt angebunden und Gerüchten zu Folge gibt es ein Sammeltaxi, das die Tour jeden Tag macht. Das letzte Stück nach Machu Picchu sollte also auf vier Rädern zurückgelegt werden.

Wer denkt, dass das Abenteuer damit zu Ende ist, der kennt den Personennahtransport in Peru nicht! Zunächst mussten wir den Eigentümer des Taxis finden und fragen, wie das ganze funktioniert. Nach scheinbar endlosem Herumlaufen im Dorf fanden wir endlich eine Garage mit einem winzigen Minibus. Das musste es sein, das einzigste Auto im Dorf! “Am nächsten Tag um vier Uhr morgens an der Straße warten, 40 Soles pro Person von Yanama nach Santa Teresa von wo ihr ein Taxi zum Wasserkraftwerk nehmen könnt, von wo aus ihr in drei Stunden zum Dorf unterhalb der Ruinen von Machu Picchu laufen könnt” – scheint machbar und ist ohnehin die einzige Option, wenn wir nicht drei Tage wandern wollten. Wenn es nur so einfach gewesen wäre, wie es sich angehört hat!

So begann also das letzte Kapitel unseres Abenteuers auf den alten Inkapfaden!

Tag 8 – 15.08.22

Tag 8 begann früh. Um wie vereinbart um 4 Uhr morgens an der Straße stehen zu können wachten wir also viertel nach drei auf, um wie jeden Morgen unser Zelt abbauen zu können. Gar nicht so leicht, so früh bei -3 Grad aus dem Schlafsack zu kriechen. Aber was muss das muss und ehe wir uns versehen haben, waren wir auch schon mit gefühlt dem halben Dorf und jeder Menge Säcke voll mit allem zwischen Alpacawolle, KArtoffeln und Gasflaschen in einem klitzekleinen Minivan auf dem Weg zum Bergpass auf über 4800 Metern. Es schien alles zu laufen… aber diese Einschätzung war vorschnell, wie sich bald herausstellen sollte!

Der Aufstieg zum Bergpass hatte kaum begonnen, da hielten wir auch schon am ersten Rinnsal, das über die Straße lief, an. Der Fahrer stürmte nach draußen und füllte einen Eimer mit Wasser. Aus den Gesprächen der anderen Passagiere wurde klar, dass der Kühlmechanismus des Motors wohl seit Jahren kaputt war. Eine Reparatur ist deutlich kostspieliger als die knappen Ressourcen der Dorfbewohner erlauben würden. Also muss an jedem Bergbach gestoppt werden und der Wassertank nachgefüllt werden, um zu verhindern, dass der Motor durchbrennt. Ohne Vorwarnung kippte der Fahrer das Wasser in den heißen Tank, was das komplette Auto sofort mit einer stinkenden Mischung aus Dampf und Motorrückständen füllte. Fluchtartig verließen wir das dampfende Gefährt und warteten mit den anderen Passagieren draußen. Nach 10 Minuten ging es weiter. Glück gehabt…oder doch nicht?

Während die Sonne langsam über den Gipfeln der schneebedeckten Berge um uns herum aufging wurde langsam klar, dass das Buschen die letzten 300 Meter (vertikal!) bis zum Pass nicht schaffen würde. Alle die nicht sehr alt oder sehr jung waren mussten also aussteigen und die letzten anderthalb Kilometer bis zum Bergpass laufen. Unbequem, ja! Aber nicht unbedingt furchtbar. Immerhin war ich etwas enttäuscht, dass wir den letzten Aufstieg und die Aussichten in dieser unwirklichen Gegend auf über 4500m nicht sehen würden. Jetzt sollten wir sie doch sehen und das in einem fabelhaft magischen Licht und trotz allem mit weniger Anstrengung als vollbepackt zu Fuß! Am Ende geht vieles doch immer gut aus, sehr gut sogar!

Wie dem auch sei! Wir mussten mehrmals anschieben und die Männer und erwachsenen Frauen mussten durch die gefrorene Landschaft im Dämmerlicht der aufgehenden Sonne zu Fuß bis zum Pass laufen.

Die Aussicht war auf beiden Seiten des Passes atemberaubend!

Unten im Tal, 800 Meter unter der Wolkendecke und 3000 Meter unter den höchsten Gipfeln der Region, sieht man die Straße auf der wir die Reise eine Stunde später weiterführen würden. Einmal unten angekommen hielten wir in einer Garage in der zwei weitere Minivans standen. Jeder davon hatte wohl einzelne wenige Teile die funktionierten und viele Teile, die einfach nur Schrott waren. Nachdem aber die Batterie des Autos mit dem kaputten Kühler und die Reifen des Autos mit dem kaputten Motor in eine halbwegs intakte Karosserie eingebaut wurden, sind es nach einem letzten Anschieben mit rauchendem Auspuff endlich weiter. Sechs Stunden waren wir zu dem Zeitpunkt bereits unterwegs – für 12km Luftlinie.

Weiter ging es. Noch einmal vier Stunden bis nach Santa Teresa gefolgt von einem dreistündigen Fußmarsch nach Aguas Calientes, das wohl touristischste Dorf des Planeten, am Fuße des Berges Machu Picchu, wo die gleichnamige, weltberühmte Ruine liegt. Zwei Tage ließen wir es uns dort bei warmen Duschen, echten Betten, überteuertem Essen und der Luft voller Sauerstoff auf unter 3000m gut gehen, bevor wir am 18.08. unsere zuvor gekauften Tickets für Machu Picchu einlösen konnten, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Last, but not least

Der Choquequirao-Hike war die längste Wanderung, die ich je gemacht habe. Anstrengend, atemberaubend, voller Geschichte und Eindrücken in die lokale Kultur von Menschen, deren zu Hause bis heute nur zu Fuß zu erreichen ist, spektakuläre Natur von Regenwald bis Gletscher. Eine Woche lang war ich alleine mit meinen Gedanken, der Natur, meinem Mann und meiner Kamera – ohne Internet, dem Dauerhagel von Nachrichten zu Kriegen, Pandemien, der bevorstehenden Umwelt-Apokalypse und dem Aufstieg der Rechtsextremen überall in der Welt. So wird jeder Schritt, jeder Handgriff beim Auf- und Abbauen des Zeltes, jedes Gefühl von Kälte, Hitze, Mosquitostichen, Muskelkater, Trinken, Essen und Laufen zur Meditation – ein Leben komplett im Hier und Jetzt, das es erlaubt sich Dingen bewusst zu werden und die eigene Existenz zu reflektieren. Wo und wie sonst ist das heutzutage noch möglich, inmitten des Trubels, Stresses und der Anforderungen des Alltags? Ich habe viel gelernt auf diesen knapp zwei Wochen, nicht nur über die Region und die Inka, sondern über mich selbst. Eine einzige Frage blieb offen: welche Mehrtageswanderung wird die nächste sein?

Wenn dir dieser Bericht und die Fotos gefallen haben, teile ihn gerne mit lieben Menschen, die sich für solche Sachen interessieren. Mir macht es mega Spaß meine Erfahrungen fotografisch festzuhalten. In erster Linie für mich selbst. Jedes Mal wenn ich Fotos teile bekomme ich aber so warmes Feedback von Menschen, die sich an andere Orte transportiert fühlen oder an vergangene Erfahrungen erinnert fühlen. Irgendwie scheinen meine Fotos Menschen glücklich zu machen und das finde ich super. Teile den Blog also gerne und schick mir dein Feedback über das Kontaktformular, wenn du magst :)

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Feedback und Reaktionen

Ich habe begonnen eine kleine Emailliste mit lieben Menschen zusammenzustellen, die in unregelmäßigen Abständen Updates mit Fotos von meinen Reisen bekommen, normalerweise deutlich weniger als dieser Riesenbericht von Choquequirao-Hike. Wenn du Lust hast auf diese Liste gesetzt zu werden, schreib mir das doch grad kurz und ich setz dich auf die Liste.